Sep 29, 2009

Fast Sarajevo XXVI

Kotor, 11. IX

Ich erreichte Montenegro und die erste groessere Stadt nach der Grenze mit der Ungeduld eines Reisenden, der unbedingt noch vor Sonnenuntergang ans Meer und in ein Hostel in Bar, Tivat oder Kotor moechte. Die Touristen, die hier vereinzelt noch herumliefen, hatten groesstenteils Wanderstoecke an ihre Rucksaeche geschnallt; mein Ausflug in der Bergwelt zum Wandern sollte allerdings erst nach dem Besuch der Kuestenstaedten stattfinden.

tracking with close-ups

Spaete Bilderschau, Serbien.

Bei jedem Kaffee: Wir lernen das kyrillische Alphabet.


Quizfrage in Belgrads Festungsruinen: Wohin schaut diese Statue? (kinderleicht: nach Oesterreich und Ungarn, mit aggressivem und warnenden Blick. laut Rebecca West)


Gehen Sie nicht ueber "LOS": In Nis fuehren die Wege ueberall hin, und eine Entscheidung muss her: Zueruck in Belgrad Clubs, Bulgarien, Kosovo oder direkt Mazedonien?


Dann doch Pristina aka. "Fast Serbien".

the happening world

Fuer die Schweizer ist die heisseste Frage in dieser Jahreszeit, von wem sie kuenftig verbale Drohungen hinnehmen muss. Bange titeln die Zeitungen: Wer wird Finanzminister? Solms oder zu Guttenberg?

Sep 28, 2009

the happening world

Es reicht gerade fuer ein kurzes Telefonat mit Berlin, von wo aus ich, entgegen anderslautender Voraussagen, vernehmen kann, dass es doch Schwarz-Gelb geworden ist. Thierse sieht geknickt aus, auf seiner Homepage. Der Montag faengt langsam an, Substanz zu kriegen. "Irgendetwas werden wir heute schreiben muessen, zu den Wahlen, damit 'was in der Zeitung steht", kommt es durch die Leitung.

Die erste Dusche im Westen.

edit: Und Titanic hat nicht ganz unrecht, wenn sie berichtet: "Sensation in Berlin: SPD knackt 5-Prozent-Huerde!"

Fuer alles weitere: Vysotsky

Sep 26, 2009

Fast Sarajevo XXV

Tirana, 11. 09.

Wieder zurueck im Blloku pendelten Mika und ich zwischen den Bars, die mir noch vertraut waren. Hinter schweren Eisentoren standen Waechter in Khaki, Kalaschnikows unter dem Arm, grimmige Gesichter, die unter Schirmmuetzen hervorlugten. Einen Blick auf die Maenner erhaschte man bloss, wenn gepanzerte Limousinen und Jeeps jene Anwesen verliessen, die solche Tore noetig hatten. Auf der Dachterrasse des "LivingRoom", in den halbdunklen, verschnoerkelten Raeumen in den Etagen darunter, im Garten des Folié mit seinem holzgetaefelten, theateraehnlichen Interieur und den pseudo-steinernen Bloecken voll von Ornamenten, auf denen die Bar ruhte, rammten wir uns in die Polster, die wir dort fanden und fuehlten uns umarmt von der Stadt und ihrem Rhythmus. An den Tischen neben uns sass ein Publikum, dessen Freizuegigkeit wir in den kleineren Staedten Albaniens vermisst hatten. Postmodern. Dralle, zurechtgemachte Damen sassen auf dem Schoessen von Maennern, kurze Roeckchen flatterten durch die Nacht, hautenge Jeans wurden von ihren Traegerinnen die schmalen Treppen hinaufbemueht. Die eckigen Lederhandtaeschchen fuer Maenner - haeufig zu finden in Europas Osten und Sueden - wurden hier gerne ueber die Schulter getragen, die Gesichter waren breit, hart, dunkle Augen lagen unter einer hohen Stirn. Wir tranken viel und rauchten viel, wir wollten die Gedanken an die Busfahrt hierher aus unseren Koepfen verbannen, und auch die Gedanken an den Aufbruch am naechsten Tag, und ueberhaupt alle Gedanken, die von anderen Orten und einer anderen Zeit handelten und andere Leute beinhalteten als uns beide.

Wir gingen zurueck zum Hostel, als das Geraeusch des Stuehlerueckens immer mehr zu vernehmen war zwischen dem Laerm der Konversationen, und wir fuerchteten, dass es bald daemmern wuerde. Wir verbrachten noch eine lange Zeit auf den Sofas in der Pergola des Hostels, im nunmehr stillen Innenhof, umgeben von dem schlafenden Gebaeude, ueber uns, vorbei am Geaest der Limonenbaeume und Weintraubenranken sahen wir bloss den stahlgrauen Himmel der spaeten Nacht, und die unheimlichen Silhouetten der Wohnblocks nicht weit von uns, Reihen ueber Reihen von kleinen, zellaehnlichen Balkonen, von denen einige noch erleuchtet waren.

Sep 25, 2009

the happening world

The road is always better than the inn. /Cervantes.

Sep 23, 2009

noch'n Gedicht/Tag

aus: Planet Sarajevo - Abdulah Sidran

I saw a little girl,
On planet Sarajevo,
In the park which was not there
Picking up flowers that were not there!

Death is a thorough reaper,
In vain the girl's tear,
In vain every
Prayer for peace!
In the universe
-its name is Bosnia -
A little girl,
With the hand which she has not,
Picks up the flowers which are not!

the sound fuer zwischendurch




SCH - Eat this.

Fast Sarajevo XXIV

Tirana. 10.09.

Der Fahrer des Taxis, das uns in die untere Stadt brachte, hatte gute Augen und sah den Bus nach Tirana von Weitem, wie er gerade in die Hauptstrasse einbog und aus Gjirokastra preschte. Etwas ausserhalb der Stadt hatten wir ihn eingeholt, das empoerte, aber nicht boese gemeinte Hupen der vorbeifahrenden Autos begleitete unseren Umsteigevorgang, dann die sechsstuendige Fahrt durch das Tal und ueber leicht bergiges Terrain zurueck in Richtung Hauptstadt. Ich schlief. Der Geruch von Rohoel weckte mich, in einigen Gebieten hier war frueher Oel gefoerdert worden und ganze Landschaftsstriche und Gewaesser waren schwarz davon, teilweise demontierte, kleine Oelbohrtuerme zierten die Gegend wie wahllos gewachsene, seltsame und extrem geometrische Baeume. Zureck im "Hotel Mama" bei Claas und Lira wurden wir herzlich begruesst, wir nahmen uns ein Zimmer und machten uns auf den Weg zu den Kernačka-Buden, die in ehemaligen Garagen eingerichtet waren, wo der Mann am Grill freudig Tisch und Stuehle fuer uns zusammenschob und uns koeniglich bewirtete.

1 Gedicht/Tag

und: in englisch!

fires of sarajevo

Inhabitants of one room conserve even the smoke and ash as if it had arisen from an oracular hearth: they are burning the libraries to keep warm.

A man stands, a book in either hand weighing words in terms of fire; will Donne keep him hotter on the hearth or on the shelf?

Some books are a pleasure to burn; Karadvic's bad poetry ...

Mary Tutwiler

Sep 22, 2009

Fast Sarajevo XXIII

Gjirokastra, 9.09., morgens zwischen Traeumen und Fruehstueck

Als wir in einem der Strassencafes sitzen, deren Tische und Stuehle sich auf dem schmalen Buergersteig an die Hauswaende schmiegen und zwischen denen die gepflasterten Strassen so schmal verlaufen, dass zwei Autos nur mit einer gehoerigen Portion an Mut aneinander vorbeipassen, gruessen uns die Leute schon wie alte Bekannte. Die anderen Gaeste im Cafe zwinkern uns verschwoererisch zu, als wuessten sie von den vorherigen Stationen unserer Reise und unseren weiteren Plaenen, und die Passanten unterbrechen ihre Gespraeche, um ihre paar Brocken Deutsch, Franzoesisch oder Englisch auszuprobieren, nur um kurz darauf wieder ins Albanische zu verfallen und zu laecheln ob unserer grossen Rucksaecke und unserer dicken Buecher. Und auch wir schmunzeln ueber ihre anarchistische Art, autozufahren, ueber ihr geschaeftiges Treiben, das fruehmorgendliche Begruessen und die ersten Rakijas, die einige der Maenner an den Tischen gegenueber von uns in langsamen, bedaechtigen Zuegen hinunterstuerzen.

Sep 21, 2009

the happening world

Das kosmopolitischste Accessoire der Saison: der Schal (Halstuch geht auch).
Dieses modische Statement, das man auch in den sub-tropischen Kuestenstaeten Dalmatiens versteht, geht ungefaehr so: "Verglichen mit dort, wo ich gerade herkomme, ist es hier kalt."

Empfohlen fuer alle Reisenden mit wenig Erfahrung aber viel zu melden.

Sep 20, 2009

Fast Sarajevo XXII

Auf dem langen Weg aus der verwinkelten, wunderschoenen Hafenstadt Saranda zurueck nach Tirana klingelte mein Handy, es war Allan. Gerade noch rechtzeitig, denn mein Bus schickte sich gerade an, die Stadt zu verlassen, in er er wohnte: Gjirokastra, die Steinstadt im Steintal der Drinos, Geburtsort von Enver Hoxha und Ismail Kadare. Suedlich von Saranda kam nur noch Griechenland, und nachdem sich vor meinen Augen die Pracht der Kueste zwischen Vlore und Saranda entfaltet hatte, war ich eigentlich zufrieden. Das Tal, in dem Gjirokastra liegt, ueberwaeltigte mich dann mit seiner Kulisse. Urspruenglich hatte ich ja fuer einige Monate nach Kasachstan fahren wollen, und dieses Tal war dafuer ein guter Ersatz.

Nach Besichtigung der Festung und der Altstadt traf ich im Cafe am zentralen Platz die Japanerin Mika, die aus Griechenland kommend ebenfalls durch Zufall hier gelandet war. Wenig spaeter stiess Allan zu uns. Allan war ein juedischer, ukrainisch-staemmiger Amerikaner, der als Freiwilliger der amerikanischen Regierung in Georgien stationiert gewesen war, bis dort der Boden bebte und die Russen kamen. Nun war er in Albanien und genauso gluecklich wie im Kaukasus. Sein Albanisch war perfekt, er machte absichtlich Fehler, damit er weiterhin den Auslaender-Bonus bei den Einheimischen bekam und nicht als Landsmann durchging. Wir kochten gemeinsam, tranken albanischen Wein, sassen auf der Terasse seiner Wohnung mit Sicht auf die imposante Festung unter dem nunmehr abnehmenden Mond und beredeten die Dinge, die uns noch unklar waren: Die Geschichte der Stadt und die Ausrichtung der Bunker in der Gegend, von denen Hoxha hunderte in langen Reihen im Tal errichten liess (sie sind nach Griechenland ausgerichtet); der Einfluss von ehemals imperialisitschen Staaten im heutigen Balkan, die Lotterie-Unruhen von 1997 und der Waffenbesitz, die Unfaehigkeit, bleibende Werte in der Zivilgesellschaft zu schaffen, wo doch jeder junge Albaner einfach nur ins Ausland will. Die Hunde der Altstadt stimmen sich im Chor zum naechtlichen Gebell ein.

Sep 19, 2009

Fast Sarajevo XXI

Vlore. 7.10.

Sinty erreichte mich auf meiner mazedonischen Nummer, die ueber einen albanischen Anbieter lief, just als ich mich dazu entschlossen hatte, Richtung Sueden ans Meer zu fahren. Wir tranken ein letztes Bier im "Radio", einer Kneipe des Blloku. Hier war Nostalgie bereits chic und alte Telefone, Schreibmaschinen und Schirmlampen standen auf antiken Tischen, die Tapeten hatten Kommunismus-cuoleur, Leuchter bestrahlten die Decken in arabesquen Mustern. Anderswo herrschte noch eine grosse Sucht nach der Moderne und es wuerde Jahre dauern, bis der Wert des Alten Sphaeren erreichte wie in Deutschland.

Am naechsten Tag fuhr ich los. Nach drei Stunden Gedudel war ich in Vlore, ich sass auf der Rueckbank eines VW Minibusses eingezwaengt zwischen einem Polizisten und einer jungen Frau. Der staendige, tuerkisch anmutende Folkpop fing an, mir auf die Nerven zu gehen.

Auf halbem Weg zu den schoensten Straenden Albaniens verbrachte ich zwei Naechte in der 120'000 Einwohner zaehlenden Hafenstadt Vlore, ein etwas unmotivierter Versuch, in eine duenner besiedelte Region zu kommen, zumindest ist es in diesem Abschnitt der Kueste sauberer als weiter noerdlich, bei Durres. Molly ueberliess mir ihre Wohnung fuer die Dauer meines Aufenthaltes. Ich fuhr in der Gegend herum, nach Berrat und an die Kiesstraende im Sueden der Bucht und kuemmerte mich doch wenig darum, wo ich war und wohin ich fuhr. Auf Mollys Rat hin nahm ich dann fruehmorgens den Transferbus nach Saranda. Die Kuestenstrasse dorthin ist ein Traum, ebenso wie auch "Saranda" als Traumstadt erscheint, der Bus schlaengelt sich eine steile Passstrasse hinauf, nur um dann auf der anderen Seite in endlosen Serpentinen ueber malerischen Straenden und Buchten voller bunt bemalter Bunker wieder hinabzugleiten.

Sep 18, 2009

Fast Sarajevo XX

Tirana. 3.09.

Es sind 36grad in Tirana und man spuert jedes einzelne davon, wenn man den grossen Bulevard entlanglaeuft. Der chaotische Verkehr rauscht mit einer atemberaubenden Praezision ueber die an Schlagloechern reichen Strassen. Es gibt hier mehr Autos von Mercedes als im Grossraum Stuttgart. Die enorme, trockene Hitze laesst die Stadt trotz des Smogs in einer extremen Reinheit erscheinen, hier gammelt nichts und schimmelt es nirgends, die Luft ist glasklar, die sandfarbenen Fassaden und saeulengesaeumten Fronten der Ministerien glaenzen makellos.

Schon in Ohrid hatte ich Kadares "Der General der toten Armee" beendet, es war mein drittes Buch von ihm gewesen. Auf der Fahrt durch den bergigen Norden von Albanien hinab in die Ebene suchte ich nun die Bruecken, Abhaenge und steilen Schluchten, die in seinen Geschichten auftauchen, aber was ich sah, war natuerlich nicht das winterliche, kalte und schlammige Albanien, das Kadare beschrieben hatte. Die Landschaft war freundlicher und besass doch noch Anleihen an den altertuemlichen Staat, von dem ich gelesen hatte.

Was Albanien so alles ist, beschreibt Greta Taubert in ihrem Ostprobe-Blog ganz hervorragend, zum Beispiel das mit den Autos: "Es ist eine Liebesgeschichte, wie sie nur in Albanien zu finden ist: der ewige Bund zwischen Albanern und Mercedes Benz."
Noch zwei weitere Dinge.
a) eine Redensart. "In Albanien gibt es fuer den Gast stets Zigaretten auf dem Tisch und eine Frau im Bett."

b) das Martialische: unleugbar ist die grosse Vorliebe der Albaner fuer Schusswaffen jeglicher Art, insbesondere Kalashnikovs, die in laendlichen Gegenden mit dem Mantel an einen Haken gehaengt werden, des Schaefers liebstes Mittel gegen Woelfe sind und in beinahe jeder Soap im Fernsehen aus nicht immer nachvollziehbaren Gruenden von irgendwem auf alle gerade anwesenden Personen gerichtet werden.

1 Gedicht/Tag

Venedig


An der Brücke stand
Jüngst ich in brauner Nacht.
Fernher kam Gesang:
Goldener Tropfen quoll's
Über die zitternde Fläche weg.
Gondeln, Lichter, Musik -
Trunken schwamm's in die Dämmrung hinaus ...

Meine Seele, ein Saitenspiel,
Sang sich, unsichtbar berührt,
Heimlich ein Gondellied dazu,
Zitternd vor bunter Seligkeit.
- Hörte jemand ihr zu? ...

Nietzsche - per lyrikmail #2051 - passend zum gegenwaertigen Aufenthaltsort: MOSTAR

Sep 17, 2009

Fast Sarajevo XIX

2.9.

Albanien praesentiert sich auf der Bustour aus karstiges Bergland, duerr, an den Grenzen uebersaeht mit kleinen, pilzfoermigen Bunkern, die Enver Hoxha waehrend seiner Amtszeit errichten liess, nachdem das kommunistische Albanien aus dem Warschauer Pakt ausgetreten war. Diese zementierten Iglus machen aus dem trockenen Land noch kein froehliches Schlumpfhausen, doch der Verschoenerungsstil (Betonblocks werden mit bunten Mustern angemalt) in den Staedten und insbesondere in Tirana traegt seine Fruechte und gibt dem Land einen mediterranen Touch par excellence. Hier wachsen endlich die Palmen, die ich suchte. Das blutrote Banner, das die selbstbewusste Bevoelkerung ueberall aufhaengt, scheint mit seiner Farbe und seinem Motiv des Januskoepfigen Adlers von der martialischen Vergangenheit zu sprechen. Gleichzeitig hat Albanien grosse Schritte in Richtung Moderne unternommen.

Tirana. Diese Stadt weckte als erste den Wunsch zu bleiben. Moeglicherweise lag es an dem exzellenten Hostel, das von einem jungen, albanisch-deutschen Ehepaar betrieben wurde, oder an der erlesenen Gaesteschar, die ausgehwillig und trinkfest war. In einer der Kneipen im Ausgehviertel "Blloku" traf ich Sinty, eine waschechte lettische DJane, die hier haengengeblieben ist, als sie "auf Tour" war. Seitdem arbeitet sie als Graphikdesignerin, neben dem Auflegen. "You know, Devid, modern albanian graphicdesign is inexistant!", saeuselt sie mit ihrem nordischen Akzent. Und sie hat recht. In der Nationalgalerie, die am grossen Boulevard liegt, der Tirana von Norden nach Sueden durchschneidet, kann man sehen, wie sich die vielen Jahre Kommunismus in der Kunst niedergeschlagen haben. Zwar sind die photorealistischen, in warmen Farben gehaltenen Bilder, die mit heroischen Darstellungen den Bau der Elektrizitaetsleitungen, die Schwerindustrie und besonders die Rolle der Frau als Arbeiterin zeigen, nett anzusehen. Die Einheitsmalerei draengte aber ganze Generationen von Kreativen in die kuenstlerische Versenkung. Wer das Leben damals in zweifelhafteren Farben malte, dessen Bilder wurden vom Rat der Schriftsteller und Kuenstler eigenhaendig verboten, ein Berufsverbot folgte meistens. Alles in der Galerie dokumentiert, im dritten Stock.
Durch gute Verbindungen hatte Sinty schon die Wahlkampfauftritte der Parteien gestaltet, an Auftraegen mangelte es nicht. Wir zahlten. Wieder klimperten Muenzen einer neuen Waehrung in meiner Tasche. "Blloku" war einst das Wohnviertel der Parteisekraetere und hohen Funktionaere gewesen. Nach dem Regimewechsel und Sturz von Ramiz Alia 1990 hatte es die Bevoelkerung in Beschlag genommen, jetzt fanden sich dort glitzernde Buerotuerme und die hoechste Kneipendichte auf dem Balkan.

Sep 16, 2009

Fast Sarajevo XVIII

Охрид - 30.08.

Meine Vermietering klopfte um kurz nach fuenf nachmittags an meine Tuer und weckte mich aus Traeumen, in denen ich mich anderswo verortet hatte, aber sicherlich nicht hier, in einem Bett in der Altstadt von Ohrid. Es hatte kurz geregnet und die spaetsommerliche Dusche liess die Pflastersteine der Strassen matt glaenzen. Als ich aus dem Haus ging, in dem ich ein kleines Zimmer mit Balkon mietete, fand ich mich im geschaeftigen Treiben der Einwohner wieder, Touristen waren nur noch wenige in der Stadt. Ich machte eine Runde durch einige der orthodoxen Kirchen, es soll einst 356 davon in Ohrid gegeben haben, eine fuer jeden Tag! In allen, die ich besuchte, fanden gerade Hochzeiten statt. Spaeter, als ich beim Eindunkeln vor der Sveta Sofija sass, erklang rechts der froehliche Gesang einer Gaesteschar aus einem Restaurant, von links der Folk-Pop des Festivals und von hinter mir, aus einer Bar, Blues. Die Tage vergehen ereignislos, genau wie ich es wuenschte, der See ist wellig und scheint dunkel, immer oefters haengen schwere Wolken drohend von Norden in unsere Bucht, und der Horizont ueber dem See ist schon seit Tagen in Dunst getaucht. Das Thermometer in der Fussgaengerzone haelt an seinen 35grad fest. Die Maenner mit den weissen Westen putzen ihre Jetskies, die jetzt, mit dem schwindenden Strom an Touristen, kaum mehr in Anspruch genommen werden. Auch die Hauptstaedter reisen langsam ab. Ich stelle mir Regenzeit am adriatischen Meer vor, in der Hafenstadt Vlore.

Sep 11, 2009

1 Gedicht/Nacht

Hoffnung


»Wer auf dem Wagen der Hoffnung fährt, hat eine Gefährtin
Sicher zur Seite.« »Das Glück?« »Selten! Die Armuth, o Freund!«


Johann Gottfried von Herder

per lyirkmail #2046

Fast Sarajevo XVII

Охрид - 28.08.

Busfahren in Mazedonien geht so: Wenn der Bus die Tore des Terminals hinter sich gelassen hat, steigen jene Passagiere zu, die sich die Stationsgebuehr sparen wollen, spaetestens am Stadtrand aber setzt ein grosses Gezeter ein, wenn fuer die Gruppe, die dann erst einsteigt, nicht mehr genuegend zusammenhaengende Sitze vorhanden sind. Jedoch muss niemand lange stehen; denn Mitfahrer steigen an den unscheinbarsten Orten aus, manche in der Einsamkeit eines Tals ohne jedes Zeichen einer Siedlung in der Naehe.

In Struga angekommen trank ich einige Kaffees mit Ena, auch sie eine Bekanntschaft aus Lettland. Ich mietete mich in der Nachbarstadt Ohrid in einem zweistoeckigen Haus ein, ich wollte einige Tage in der Gegend bleiben, es gab einen schoenen See umgeben von Bergen, Albanien war gleich um die Ecke und die Hochsaison vorueber. In dieser Stadt soll Clement von Ohrid angeblich die kyrillische Schrift entwickelt haben, nachweislich hat er allerdings nur das glagolitische Skriptum reformiert, das im 10. Jahrhundert in Ostbulgarien entstanden ist. In Serbien, Mazedonien und Bosnien wird kyrillisch geschrieben. Meine Kenntnisse waren okay. Aus der Ukraine waren Erinnerungen geblieben, und in Belgrad hatte ich das Alphabet zur Gaenze verinnerlicht.
Der See von Ohrid besitzt eine Klarheit, die einen schwindeln lassen kann, wenn man 50 Meter vom Ufer entfernt nach unten blickt und den Grund sehen kann, als ob das Wasser bloss huefttief waere. Ich badete jeden Tag und traf abends Ena mit ihren Bekannten, die aus Struga herueberkamen und mit mir am Wasser sassen und tranken.

Sep 7, 2009

Fast Sarajevo XVI

Скопје - 27.08.

In Skopje wurde ich von Zoran abgeholt, den ich in Lettland kennengelernt hatte. In der Hauptstadt Mazedoniens scheint die Sonne heisser als noch in Serbien. Ueber der Stadt auf einem der umliegenden Berge steht ein riesenhaftes Kreuz, das nachts erleuchtet ist. Tito hat Skopje genauso wie Pristina und die uebrigen Staedte ausser Belgrad groesstenteils sich selbst ueberlassen, hier gibt es abgesehen von den russigen Dieselbussen und den Taxis kein oeffentliches Verkehrsmittel, und das in einer 700'000-Einwohner-Stadt, deren Strassen zu jeder Tageszeit vollgestopft sind wie in Bangkok. Anfang September findet in Skopje eine Biennale junger Kuenstler aus Europa und den mediterranen Laendern statt, im Vorfeld erledigt ein Team von Volontaeren aus Frankreich, England, Italien und Holland administrative Aufgaben in einem klimatisierten Grossraumbuero, wo ich fuer einige Stunden einen Arbeitsplatz bekomme.

Tags darauf fahren wir zum kleinen Stausee "Matka" im Sueden von Skopje, wo wir nach zweistuendigem stop-and-go im Bus endlich etwas Natur und unverschmutzte Luft geboten bekommen. Am Fuss der Staumauer wurde fuer Kanuten ein Wildwasser-Kanal eingerichtet mit ordentlicher Stroemung, der Anblick erinnert mich an meine eigenen, klaeglichen Versuche in dieser Disziplin.

Sep 6, 2009

Gogol Bordello does the sound

Aufwachmusik in Tirana.

Balkan Beat Box / Cha cha

Fast Sarajevo XV

Der Kosovo erleichterte mich um die letzten Euro, die ich als Bargeld-Reserve mitgenommen hatte. Die zweite Nacht im Velania-Hostel verbrachte ich im selben Zimmer, aber mit anderer Besetzung; einer der Bewohner schnarchte so laut, dass ich kein Auge zutun konnte und fuerchtete, die Belegschaft wuerde einmarschieren und uns zur Ruhe ermahnen - in den Kuechenraeumen hingen ueberall Hinweise, dass die Nachtruhe strikt eingehalten werden muesse, da es sonst Aerger mit der Polizei gaebe. Den Schnarcher kuemmerte es wenig. Ich nahm den ersten Bus nach Skopje um halb sieben Uhr morgens.

Sep 4, 2009

1 Gedicht/Nacht

und: in Englisch!

ALLAH

After you eased yourself
on top of me
and leaned forward,
your long hair fell around
our faces like an arabian tent
holding in the desert air.

As I pulled your quivering lips
down to mine, your eyes closed
and the tent collapsed around us
spewing the desert heat into our groins.

Paul Polansky

Fast Sarajevo XIV

Pristina> 25.08.

Die Fahrt nach Prizren wuerde mich endlich in den bergigen Teil des Kosovos bringen, wo es schoen gruen ist abseits der muellgesaeumten Strassen. Prizren ist Bundeswehrterritorium, sie hat dort die Obhut. Es sei schoen sauber und das Leben gut organisiert, schwaermt Arthur, mit dem ich vor der Abfahrt in Pristinas noch eine grosse Tasse Macciato trinke. Ich habe Arthur in der Linie 7 kennengelernt, er brachte mich zum Terminal und organisierte ein Ticket. Arthur hat 11 Jahre in Minden zwischen Hannover und Bielefeld verbracht, spricht ein ruhiges Deutsch und ist ganz Kosovare, wenn er meint, dass die UN in dem jungen Staat schon vor der Abloesung von Serbien gemacht hat, was sie wollte. An den omnipraesenten Muell in der Stadt, an die Unentschlossenheit seiner Mitbuerger und an die vielen Diplomaten und Beamten, die in ihren Dienstautos ueber die Schnellstrassen preschen, hat er sich laengst wieder gewoehnt. Viele Busse in der Hauptstadt und anderswo im Balkan sind ohnehin deutsche Gebrauchtfahrzeuge. Und doch faellt es ihm schwer, sich wieder einzuklinken, es sei hart, akzeptiert zu werden als Rueckkehrer. Seine Verwandten und Freunde sehen in ihm jetzt einen Hochstapler, bloss weil er vor dem Krieg ins Ausland gegangen ist und hart dafuer gearbeitet hat, um eine gute Ausbildung zu erhalten. "Ich habe in Minden im Fussballclub gespielt und war bei den Pfadfindern, ich habe mich gut in Deutschland integriert. Vielleicht zu gut." Aus seinen Augen spricht das Unverstaendnis fuer seine Landsleute, deren vertracktes Leben und deren alltaegliche Probleme er nicht mehr nachvollziehen kann. Er fragt mich, ob es mir meine Verwandte uebel nehmen wuerden, dass ich in der Schweiz gewesen bin in meiner Jugend, und nicht jeden schweren Schritt von Deutschland nach der Wende miterlebt und mitgemacht habe, all diese traegen und wehmuetigen Entscheidungen gegen ein Verharren in der Opferrolle. Ich weiss nichts darauf zu erwidern, vielleicht weil ich nicht die Parallelen sehen moechte und mein Nachhausekommen im vorigen Jahr unter solch einem gaenzlich anderen Stern stand. Arthurs Geschichte aber empfinde ich symptomatisch fuer die Gegend, und fuer einen kurzen Moment zwischen zwei Schlucken Macciato habe ich eine einfache Erklaerung der Situation in Pristina vor meinen Augen: Die eine Haelfte der Bevoelkerung ist hin und her gerissen zwischen den Versprechungen der internationalen Organisationen einerseits und dem Bestehen auf bewaehrte Handlungsweisen andererseits, waehrend die andere Haelfte der Bewohner durch Auslandserfahrung und tiefergehendes Wissen voellig konsterniert ist ueber die Weltfremdheit dieser beiden Denkarten der anderen Gruppe.

Bezueglich der Roma im Kosovo faellt Arthur ein andeutungsweise progressives und doch genauso kurzsichtiges Urteil: Da die Zigeunerkinder nicht fuer die Fehler ihrer Eltern verantwortlich gemacht werden sollten, sei ihnen zu helfen. Ueber das wie herrscht nur leider keine Einigkeit.

Sep 3, 2009

Fast Sarajevo XIII

Die Kennenlern-Runde im Bus nach Pristina lief so ab, dass der Fahrer nach dem Passieren der kosovarischen Grenze die Namen der Passagiere in den Paessen vorlas und sie uns dann einzeln nach hinten reichte. Es waren viele Stammgaeste dabei, die die Route wohl oefters fuhren, der Fahrer verfaelschte ihre Namen, sprach sie falsch aus und das Spiel lief unter viel Gelaechter ab. Ueberhaupt liess der Fahrer oft sein froehliches, dunkles Lachen ertoenen, er war fast die gesamte Fahrt ueber am Telefon und schien viel Spass zu haben. Die Landschaft wurde bergiger, je weiter wir Richtung Suedwest fuhren, wir erreichten die Grenze, als es dunkelte. Die Beamten machten einen ernsten Eindruck, der Bus wurde genauestens durchsucht. Die Strassen in Serbien waren schlecht gewesen und verschwanden teilweise gaenzlich, im Kosovo war der Belag besser.

An einer Tankstelle zwischen Mitrovica und Pristina stiegen einige Passagiere in einen anderen Minibus um, der uns dann vorausfuhr. Unser Fahrer liess es sich nicht nehmen, auf dem halbfertigen Zubringer zur Autobahn zwischen Baustellen und Pylonen hindurch die Verfolgung aufzunehmen, unser Bus war leichter und hatte den staerkeren Motor. Nach einigen waghalsigen Ueberholmanoevern bemerkte ich, dass wir Pristinas Stadtgebiet bereits wieder verliessen, ich intervenierte, der Fahrer wendete, fuhr auf einer holprigen Seitenstrasse zurueck und liess mich im dunklen Nirgendwo der Vororte aussteigen. Ich gab ihm meine letzten Dinar. Die Nacht im Kosovo war deutlich kaelter als in Nis, ich wickelte mir meinen Schal um, der im Wind hinter mir herflatterte. Ein Taxi, das am Strassenrand stand, fuhr mich durch die verwinkelte Stadt, einen Huegel hinauf und brachte mich zum Gaestehaus in der Velaniastrasse, dem einzigen der Stadt. Schon wenige Minuten spaeter war ich mit zwei Australiern und einem langhaarigen Iren zu Fuss auf dem Weg zurueck nach downtown. Ramadan hatte gerade begonnen, kein Club und keine Bar hatte geoeffnet, so verbrachten wir notgedrungen einige Stunden in der Vertigobar auf dem Dach eines Hochhauses etwas ausserhalb an der Autobahn, wo wir assen und einige Bier tranken. In Thailand nennt man es farang-place - ein Ort fuer Expats und Kosovaren, die gerne welche waeren.

Sep 2, 2009

the sound fuer zwischendurch

Gegen die Sehnsucht nach den noerdlichen deutschen Staedten hilft nur Koze. Seine Stuecke werden ueber kurz oder weit vom Daemon Youtube transportiert, der sich als Mittelsmann fieserweise unabdingbar macht.

DJ Koze / Mrs. Bojangels

Fast Sarajevo XII

Pristina, 25.08.

Vor meiner Abfahrt in Nis traf ich den amerikanischen Schriftsteller Paul Polansky, der schon seit ueber 40 Jahren in Europa lebt, erst in Spanien, dann in Tschechien. Die UN hat ihn 1999 als Vermittler in Roma-Fragen in den Kosovo berufen, hier lebte er mehr als 10 Jahre lang selbstbestimmt unter erbaermlichsten Bedingungen, um die Lage der Roma in prosaischen Gedichten, Berichten und NGO-Arbeit zu dokumentieren. Seine Werke legen die ethnischen Graeueltaten offen, die waehrend dem zweiten Weltkrieg in Tschechien und in den Jahren 1999-2005 im Kosovo an den Zigeunern veruebt wurden. Da die Albaner im Kosovo der Auffassung sind, dass die Roma mit den Serben waehrend des Kriegs kooperierten, schikanieren sie die Zigeuner, die sich im Kosovo heimischen fuehlen und doch nicht bleiben koennen. Die UN macht keine Anstalten, ihnen zu helfen. In einem langen Marsch, auf dem Polansky sie begleitete, zogen 900 von ihnen nach Mazdedonien in der irrwitzigen Hoffnung, ueber Griechenland in die EU einreisen zu duerfen. Nach ihrer Abschiebung lebt ein Grossteil der Roma nun in den serbischen Enklaven im Kosovo, viele von ihnen auf bleiverseuchtem Gelaende. Polansky lebt mittlerweile in einem Haus etwas ausserhalb von Nis. Von hier zu den Enklaven sind es bloss zwei Stunden. Er faehrt jede Woche hinueber. Seine Arbeit als Menschenrechtsaktivist aehnelt einem Kampf mit Windmuehlen. Weder die UN noch die Regierungen der betroffenen Staaten reagieren auf seine Forderung, dass die Zigeunercamps umgehend evakuiert werden muessen. Das Leben von 300 Kindern steht auf dem Spiel, es zu retten, das hat sich Polansky in den Kopf gesetzt. Seine Antworten auf meine Fragen kommen nur mit einer kleinen Portion Verbitterung, der Rest ist eine Mischung aus unergruendlichem Schriftstellergeist und unermuedlichem Willen, dieser moeglicherweise ein antrainiertes Ueberbleibsel aus Polanskys Zeit als Boxer.

Neben einigen anderen Dingen lerne ich in den Gespraechen, dass die Aufgabe, eine Minderheit zu retten, die nirgends gemocht und der nirgends geholfen wird, ein ebenso aussichtsloses Unterfangen ist wie die ganzen anderen interkulturellen Projekte in der Region, der Streit zwischen Griechen und Mazedoniern ueber die Verwendung des Namens "Mazedonien", oder die Frage der Zugehoerigkeit des Kosovos, die mit der von der UN oktroyierten Unabhaengigkeitserklaerung keineswegs beantwortet ist. Der Balkan, mit seinen jungen Nationalstaaten und verschwommen Ethniengrenzen ist nicht mehr das Pulverfass, als das er in der Fruehzeit oft bezeichnet wurde, und doch stellen sich dem aufgeklaerten Europaer hier Fragen, die er nicht bei Anne Will beantwortet findet. Diese Fragen zu eroertern, das ist mein Plan fuer die sechs Wochen, die ich in den Laendern verbringe. Neben einem ordentlichen Nachbraeunen und einer genauen Analyse der wunderschoenen Frauen in diesen oestlichen Laendern.

Paul Polansky; Head of Mission "Kosovo Roma Refugee Foundation", ausserdem Head of Mission for Kosovo der Gesellschaft fuer bedrohte Voelker, Goettingen.
Zuletzt erschienen: "Undefeated", Sammlung von Prosagedichten, geschrieben zwischen 1994 und 2008.
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